Regeln und Weisungen
Es wäre kein guter Rat, auf nur allgemeine Weise zu empfehlen, die Menschen mögen es lernen, ihre Widersprüche auszuhalten.
Plausibel kann dieser in der psychologischen Ratgeberliteratur beheimatete Ratschlag nur sein, wenn es um Fragen geht, die keine wirkliche, keine entscheidende Bedeutung für die Lebensführung von Personen und die Einheitsbedingungen von Personengemeinschaften und ihres gesellschaftlichen, auch unternehmerischen Handelns haben.
Nehmen wir das Beispiel des Dieners zweier Herren, das Thema der Komödie ist, oder den Widerstreit, wenn - ach - zwei Seelen wohnen in meiner Brust.
Wenn auf einer Pferdekutsche zwei Kutscher zu lenken suchen, der eine immer Hü, der andere Hot ruft, dann wissen die Pferde nicht, was zu tun ist, und sie werden ihren Dienst verweigern und die Fahrt wird ihr Ziel nicht erreichen, den Zweck der Antriebslenkung verfehlen.
In Platons Phaidros wird das Bild des von zwei entgegengesetzt gestimmten Pferden gezogenen Wagens für die Seele gezeichnet, in deren vernünftiger Führung es auf eine Integration der ausbrechenden, die Einheit der Seelenkräfte zerrüttenden Bestrebungen ankommt und dies erfordert Bildung und Erziehung der Strebenskräfte, für die der Wagenlenker fürsorgend Weisung gebend und regulierend handelt.
Die in der zur Tauglichkeit (arete → Tugend) bestimmten Verhaltens- und Handlungsvermögen erfordern in ihrer Gegensätzlichkeit der Bestrebungen durchaus einer Kunst ihrer Vereinigung, die – wie am Beispiel von Tapferkeit und Besonnenheit zu begreifen – eine Koordination der Kräfte für ihre Zusammenstimmung leitet, denn handlungsmutig tapfer ohne besonnen zu sein, führt mit blindem Aktionismus weder zum Erfolg, noch kann solches Verhalten für tugendhaft (tauglich) gehalten werden. Umgekehrt wäre ein ewig wirkungsloses sich Besinnen ohne wirksames Handeln ebensowenig tauglich und darum muss die Weisheit eine Kunst einschließen, auf besonnende Weise in mutig tapferem Einsatz zu handeln und auf tapfere Weise die in der Besinnung erkennbaren Widerstreite auszutragen: zur Lösung in einer zu erlernenden Zusammenstimmung, zu einem Zusammenwirken der Bestrebungen und der Einstimmung ihrer Ausrichtungen hin.
Denn sich widersprechende Richtungsbestimmungen führen zu keinem Weg, sondern lassen ein Gezerre entstehen, das in Auswegslosigkeit (Aporie) mündet.
Erledigt ist das sich unserer Orientierungs- und Entscheidungskraft stellende Problem damit nicht.